In dieser Reihe stellen wir typische Konflikte in der interkulturellen Kommunikation von Deutschen und Chinesen vor. Zu Beginn wird ein Fallbeispiel aus der Unternehmenspraxis beschrieben. Danach werden einige Fragen zum Beispiel gestellt, die zum Nachdenken anregen sollen. Abschließend werden der Konflikt interkulturell analysiert und bewährte Lösungswege besprochen. In diesem Fallbeispiel geht es um die Rituale des Einladens in China und die Zahlungsgewohnheiten von Chinesen beim Restaurantbesuch.
Einladungen bis zum Abwinken
Fallbeispiel:
Für den deutschen BWL-Absolventen wird ein Traum war. Stephan darf bei der Pekinger Tochterfirma seines deutschen Arbeitgebers ein dreimonatiges Praktikum absolvieren. Ihn hat China schon immer fasziniert, obwohl er das Land nur aus Zeitungsartikeln und Filmen kennt. Eine deutsche Freundin, die drei Jahre in China gelebt hat, hilft Stephan bei der Vorbereitung auf die Zeit im Reich der Mitte. Bei der Wohnungssuche unterstützen ihn im Vorfeld die chinesischen Kollegen.*
Als die Reise endlich losgeht, fühlt sich der Deutsche bestens gerüstet. Auch in Peking kommt er von Anfang an gut zurecht. Die chinesischen Kollegen sind sehr freundlich und laden ihn täglich zum Mittagessen ein. Nach einigen Wochen wird er hingegen nicht mehr gefragt, ob er mit zu Tisch kommen möchte. Da er aus diesem Verhalten nicht schlau wird, fragt Stephan seine deutsche Freundin, was das Problem sein könnte.
Diese ist entsetzt, als sie erfährt, dass ihr Freund sich fünf Wochen lang jeden Tag zum Mittagessen hat ausführen lassen. Stephan erwidert zu seiner Verteidigung, dass er ein-, zweimal versucht habe, die chinesischen Arbeitskollegen einzuladen, dabei aber erfolglos geblieben sei. Seine Freundin erklärt ihm anschließend, was der Grund für das Missverständnis sein könnte…

Fragen:
Was hat der Praktikant aus chinesischer Sicht falsch gemacht? Welche Unterschiede in Bezug auf Einladungen und Zahlungsgewohnheiten in China und Deutschland sind hier denkbar? Ist die Situation zwischen dem Deutschen und den chinesischen Kollegen noch zu retten?
Konflikt:
Ausländer genießen in China viele Vorteile, manche halten diese Sonderrechte fälschlicherweise für die totale Narrenfreiheit. Der deutsche Praktikant des Fallbeispiels hat sicherlich nicht mit böser Absicht gehandelt, doch nichtsdestotrotz die chinesische Gastfreundschaft überstrapaziert. Die chinesischen Kollegen wollten ihn vermutlich nicht darauf ansprechen, weil damit ein Gesichtsverlust für alle Beteiligten einhergegangen wäre. Tatsächlich wird es manchmal kompliziert, möchte man in China die Rechnung übernehmen.
Lösungsansatz:
Bei offiziellen Essen oder feierlichen Anlässen lädt in China traditionell eine Person mit Rang oder Autorität die gesamte Gruppe ein. Zwar ist mittlerweile das getrennte Bezahlen weiter verbreitet, wenn eine (jüngere) Gruppe von Freunden oder Kollegen gemeinsam essen geht. Selbst dann wird in der Regel nicht einzeln mit der Bedienung abgerechnet, sondern eine Person bezahlt und die anderen geben ihr den eigenen Teilbetrag anschließend zurück.
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In chinesischen Restaurants streiten gelegentlich die Gäste an einem Tisch – eher scherzhaft – darüber, wer denn nun die Rechnung übernehmen wird, obschon eigentlich klar ist, wer an der Reihe ist. Stephan wurde wahrscheinlich bei den ersten Restaurantbesuchen aus Gastfreundlichkeit eingeladen, hätte aber später für die Arbeitskollegen bezahlen oder zumindest seinen eigenen Teil der zahlenden Person zurückgeben sollen.
Die Situation wäre zu retten, indem der Deutsche alle Beteiligten in ein gehobenes Restaurant zum Essen ausführt. Er müsste dort nicht noch ausdrücklich auf das Thema eingehen – eine solche „deutsche“ Aussprache wäre in China unnötig, da die Geste auch so verstanden würde. Falls man unsicher ist, welche Höflichkeitsregeln in einer bestimmten Situation greifen, empfiehlt es sich prinzipiell, in einer ruhigen Minute einen chinesischen Kollegen um Rat zu fragen.
Haben Sie ähnliche Erfahrungen in China gemacht, die Sie mit uns teilen möchten? Dann freuen wir uns auf Ihren Kommentar. Auch Fragen beantworten wir gerne.
Falls Sie an einem interkulturellen Training interessiert sind, in dem auf diese und ählniche kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und China eingegangen wird, kontaktieren Sie uns jederzeit.
* Die Namen im Fallbeispiel sind frei gewählt. Das Beispiel ist leicht abgewandelt als Teil des Artikels „Interkulturelle Konflikte und Lösungswege: Beispiele aus der deutsch-chinesischen Praxis“ im Magazin des Chinesischen Industrie- und Handelsverbandes (2013.19, S. 27-30) erschienen.