Wie sieht Deutschland China? Welches Image hat Deutschland in China? Der Journalismus in den beiden Ländern hat großen Einfluss auf die gegenseitige Wahrnehmung. Die neue Reihe „Deutsch-chinesische Wahrnehmung: China-Journalismus“ befragt erfahrene Journalisten nach ihrer Meinung zur Berichterstattung zwischen Deutschland und China. Im ersten Teil kommt Peter Tichauer, Chefredakteur von ChinaContact, zu Wort.
Herr Tichauer ist studierter Sinologe und seit 18 Jahren für den OWC Verlag tätig, wo er das Wirtschaftsmagazin ChinaContact mit aufgebaut und maßgeblich geprägt hat. Seit 2006 berichtet er aus Peking über die wirtschaftliche Entwicklung in China und die deutsch-chinesische Zusammenarbeit. Im Interview mit dem ICC-Portal äußerte er sich detailliert zum deutsch-chinesischen Journalismus und dessen Perspektiven.
ICC-Interview mit Peter Tichauer, ChinaContact (OWC-Verlag)
1. Wie unterscheiden sich in Ihren Augen die Presselandschaften in China und Deutschland?
In China sind die Medien vorwiegend staatlich dominiert, was nicht automatisch heißt, dass sie unkritisch berichten. Gerade Publikationen und Fernsehsendungen, die in erster Linie an ausländisches Publikum gerichtet sind, greifen sowohl internationale als auch nationale Themen kritisch auf.
2. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede der journalistischen Arbeit in China und Deutschland?
Aus der Sicht eines Wirtschaftsjournalisten gibt es eigentlich keine großen Unterschiede. Auch in China kann ich Interviewpartner frei wählen; letzten Endes hängt es von der persönlichen Entscheidung jedes Gesprächspartners ab, ob er zu einem Interview bereit ist oder nicht. Das ist in Deutschland nicht anders als in China.
Auffallend ist, dass in China wie in anderen asiatischen Ländern oft die Frage kommt, ob der Gesprächspartner für das Interview bezahlen muss (z.T. auch in ausländisch investierten Firmen). Offenbar ist das unter einheimischen Journalisten Praxis, während nach unserem journalistischen Ethos eine klare Trennung zwischen journalistischen Beiträgen und Anzeigen bestehen muss. So heißt es auch, dass chinesische Journalisten über Pressegespräche nur berichten, wenn sie entsprechende Geschenke erhalten.
3. Wie schätzen Sie die China-Berichterstattung in Deutschland ein?
Es kann durchaus der Eindruck entstehen, dass die China-Berichte in deutschen Medien oft tendenziell negativ sind. Das gibt es ohne Zweifel, zum Teil ärgern mich auch falsche Darstellungen, wie beispielsweise jüngst in einem Bericht über ein Schwimm-Event an der Straße von Taiwan. Es wurde der Eindruck erweckt, dass der Journalist auf der chinesischen Seite nicht nach Taiwan reisen könne, weil sein Visum für China damit ungültig wird. Das stimmt natürlich nicht.
Grundsätzlich wird in deutschen Medien objektiv über China berichtet; die Kollegen haben aber oftmals das Problem, dass die Überschriften in den Zentralen gemacht werden, und es sind eben oft die Überschriften, die den Inhalt eines Artikels bestimmen, egal was im Artikel steht. Außerdem kommen aus meiner Sicht zu wenig Erfolgsgeschichten in die Medien. Wollen die Leser wirklich nur über Katastrophen und Skandale lesen? Das wage ich zu bezweifeln.
4. Was wünschen Sie sich für die zukünftige Berichterstattung zwischen Deutschland und China?
Dass sie objektiver wird, dass auch die Erfolge Chinas dargestellt werden, ebenso die Erfolge in der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit noch mehr Platz einnehmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kritik (wo auch immer sie vorgetragen wird) durchaus sein darf, sie muss aber mit Respekt vor dem Partner geäußert werden. Dann würden Chinesen auch nicht so negativ auf die deutsche China-Berichterstattung reagieren.
Im Übrigen kommt China in den deutschen Medien weit mehr vor als Deutschland in den chinesischen. Es wäre also wünschenswert, dass mehr über Deutschland, über Europa in China berichtet würde. Letzteres ist eigentlich Ausdruck dafür, welche Rolle Deutschland, Europa für China spielt, ungeachtet dessen, dass die EU der wichtigste Handelspartner China ist und Deutschland der wichtigste europäische.
Vielen Dank für das Interview, Herr Tichauer!
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kuo xing-hu meint
Die Feststellungen Peter Tichauers sind das Beste, was ich über die Berichterstattung der Medien in Deutschland über China bisher gelesen habe, sie könnten sozusagen von mir stammen! Sogar seriöse Zeiungen wie die FAZ, die ich ansonsten sehr schätze, überbetonen angebliche oder tatsächliche Mängel, verherrlichen Dissidenten, die in China kaum jemand kennt, wie Ai Wei wei, schreiben über angeblich gravierende Menschenrechtsverletzungen,vergleichen die Verhältnisse im heutigen China mit denen in der ehemaligen DDR oder der Sowjetunion usw. Ich habe als Auslandschinese China 5x besucht, in den Jahren 1962, 1964 (zu zeiten des sog. „Großen Sprungs nach vorn“ und der „Volkskommunen“, dann 2010,2011 und 2013. Die Lage im heutigen China kann man nur mit der Situation dort vor 30 oder 40 oder 50 Jahren vergleichen, dann muß man feststellen, daß die heutige Führung aus dem rückständigen, fast mittelalterlichen China ein liberales, demokratisches und wohlhabendes Land gemacht hat, das es in der 5000jährigen Geschichte noch nie gegeben hat. Und obwohl die chinesischen Medien relativ wenig über Deutschland berichten, was auch der Bedeutung dieses Landes auf der Welt entspricht, ist diese weitaus objektiver und respektvoller als umgekehrt! Es wird höchste Zeit, daß die einseitige und negative Berichterstattung über China durch eine qualifiziertere verbessert wird, es muß viel mehr Peter Tichauers geben, die Sachkenntnis mit Objektivität vereinen. Kuo Xing-hu, Deutsch-Chinesische Allgemeine Zeitung.
ChinaFox meint
Ich finde Tichauers Einschätzung auch gut. Die Dramatik des letzten Kommentars möchte ich aber nicht teilen. Zumal dadurch die Faktizität leidet. Ein Ai Weiwei ist mittlerweile weltbekannt – das kann man gut oder schlecht finden. Ist aber so. Und wenig Berichterstattung über Deutschland entspricht Deutschlands Stellung weltweit? Ganz so unwichtig ist das Ländchen dann auch nicht… Das deutsche China-Bashing ist in meinen Augen lange vorbei. Einseitig ist die Berichterstattung sicher immer noch, eine Verschwörung war sie wohl nie. Ich empfehle daher diese Artikel als Gegengewichte:
https://china-wiki.de/china-journalismus-arbeit-erfordert-mehr-mut-als-in-deutschland
https://china-wiki.de/china-journalismus-adrian-geiges-interview (Erfrischend nüchtern, wie ich finde…)