„Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht.“ Wer kennt es nicht, das Lied von Mecki Messer aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“. Die Formulierung ist auf vieles anwendbar, zum Beispiel auf China, und keinesfalls muss dabei irgendeine Art von Fisch eine Rolle spielen. Ein Bericht von Gunnar Henrich…
Wie ist es beispielsweise um das Zähne zeigen im freundlichen Sinne bestellt, um das Lächeln als Erkennungsmerkmal, soziales Zeichen und erfolgreiche Maskierung versteckterer Emotionen? Und das Ganze im Fernen Osten, in einem „Land des Lächelns“ selbst, in China? Da muss zuvor mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufgeräumt werden. So werden Chinesen ja häufig als kalt, diszipliniert, sehr ruhig, ohne erkennbare äußere Regung und voller Kontrolle lächelnd im persönlichen Umgang beschrieben. Der Autor dieser Zeilen ist selbst auf diese Behauptung hereingefallen. Und darum kann er aus eigener Erfahrung sagen: So sind die Chinesen ganz sicher nicht.
Wer einmal große Mengen Chinesen am Badestrand im nordchinesischen Dalian erlebt hat, wo sie mit riesigen Badeenten umgürtet begeistert und durcheinander schreiend in Wasser springen. Wer bei einem gemeinsamen Essen mit Chinesen gar nichts mehr versteht vor lauter Lachen, durcheinander reden und sich gegenseitig übertönen, wobei die Lautstärke immer höher geschraubt wird und trotzdem alles freundlich bleibt. Und wer schließlich in einem chinesischen Bauerndorf, das bisher wenig Kontakt mit westlichen Ausländern hatte, d i e Sensation überhaupt ist und sich einem Kreis von lachenden, staunenden und lautstark diskutierenden Dorfbewohnern ausgesetzt sieht, der weiß für immer und ewig, dass Chinesen im normalen Umgang ganz sicher nicht ruhig und kontrolliert wirken. Wer das dann immer noch nicht glaubt, sollte das Gebrüll im chinesischen Verkehr erleben. Kleiner Tipp: auf Japaner trifft die Eigenschaft der kontrollierten Höflichkeit in jeder Situation viel eher zu. UNd trotzdem lächeln die Chinesen gern. Vor allem, wenn man es gar nicht erwartet.
Nach dem Kauf eines mir nicht mehr unbedingt erinnerlichen elektronischen Gegenstandes, der überhaupt nicht funktionierte, vermutlich ein DVD-Player, suchte ich die Abteilung des chinesischen Warenhauses auf mit dem Wunsch, einen Umtausch oder besser noch eine Erstattung beantragen zu können. Natürlich wurde ich überhaupt nicht verstanden. Da der Tag ohnehin stressig war und jetzt noch nicht mal eine DVD zur Entspannung angesehen werden konnte, war meine Stimmung schlecht und wurde noch schlechter. Parallel dazu wuchsen meine Aufregung und die Lautstärke meiner Stimme, im ungeduldigen Versuch, den Angestellten mein Anliegen verständlich zu machen. Und diese: lächelten! Das interpretierte ich gar nicht gut, und wurde noch ungeduldiger. Der Mann am Verkaufspult lächelte. Ich wollte nun den Inhaber sprechen, natürlich wurde ich nicht verstanden, das tat dem Lächeln des Angestellten aber keinen Abbruch. Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, dass die Augen auch mitlächelten, was in ihm vorging, weiß ich nicht, aber ich zolle dem Mann noch heute Respekt: Er lächelte mich regelrecht nieder. Irgendwann gab ich dann erschöpft auf. Was aus dem DVD Player wurde, weiß ich nicht mehr. Das Erlebnis wurde beim Essen einem in den kulturellen Sitten erfahreneren Deutschen erzählt. Der klärte mich dann auf: Wenn man laut und unfreundlich sein vermeintliches Recht einfordert, gilt man in den Augen des chinesischen Gegenüber als auf dem Niveau eines Kindes stehend, denn nur die würden vor Wut plärren und brüllen. Damit hätte ich „mein Gesicht verloren“ und darum konnte der Händler mich nicht mehr ernst nehmen und setzte sein freundliches Pokerface auf. Rat des deutschen Freundes: Geduld haben, ruhig bleiben und – lächeln. Ich schwor mir, diesen Rat umzusetzen.
Die Gelegenheit bot sich dann auch bald, bei einem weiteren Besuch in Shanghai. Auf dem Weg zum Bund, der alten Prachtstraße mit den kolonialen europäischen Bankpalästen auf der einen, und dem Fluss auf der anderen Seite, begegnete mir ein gut gekleideter, seriös wirkender Chinese namens John. Er stellte sich in tadellosem Englisch vor, und wollte mich zu einer Kunstausstellung einladen. Das passierte mir in Shanghai öfter. Ein gewisses Déjà-vu machte sich bei mir bemerkbar, und ich beschloss, diesmal nicht zu weichen. Ich sagte, dass ich das gern machen würde, aber zunächst wolle ich mir den Bund ansehen, und lächelte. Kein Zeichen des Unbehagens bei John, im Gegenteil, er lächelte ebenfalls, lobte meinen Entschluss, der Bund sei prächtig, aber ob ich nicht vorher zu der unglaublichen Kunstausstellung kommen wolle. Doch, ich wolle gern, sehr gern, aber zunächst müsse ich auf den Bund. Lächeln. Kaum merkbare Ungeduld bei John, die Stimme wird nur eine Spur hektischer: der Besuch bei der Kunstausstellung dauere nicht lange, es wäre eine große Ehre für ihn, wenn ich mitkäme. Ich: Das wäre mir sehr lieb, und ich danke ihm auch sehr. Aber erst wolle ich auf den Bund. Danach käme ich gerne mit. Lächeln. Die Augen von John lächelten spätestens jetzt nicht mehr. Er änderte leicht seine Taktik, bot mir eine Art Stadtführung über den Bund an mit ihm als Führer, wenn ich vorher mit ihm zur Kunstaustellung ginge. Die Idee war eigentlich nicht schlecht, aber ich hatte ja nun meinen deutschsprachigen Reiseführer in der Hand, und sowieso, es ging hier ums Prinzip. So dankte ich ihm herzlich, zeigte mich sehr angetan von seinem Vorschlag, und bot ihm an, nach der gemeinsamen Besichtigung des Bundes mit zur Kunstausstellung zu kommen. John wurde mit der Zeit merklich hektischer, er versuchte andere Argumente, die mal mehr, mal weniger sinnvoll erschienen, die Hände flatterten. Ich blieb der freundlichste, geduldigste Mensch überhaupt, zeigte mein größtes Interesse an der Kunstausstellung, bekundete ihm meine Dankbarkeit für seine Einladung, aber zuerst wolle ich den Bund ansehen. Dauerlächeln.
Es gibt in einem alten Wildwest Kindercomic eine Szene, in der zwei chinesische Kontrahenten sich lächelnd voreinander verbeugen und in dieser Haltung verharren, anstatt das Duell auszufechten. Einer der beiden bekommt dann einen Hexenschuss und hat dadurch verloren. So weit ging es dann doch nicht. Ich hatte ja eine Rückfahrkarte nach Suzhou, und der Zug war auch schon ausgesucht. Den Bund wollte ich aber unbedingt noch sehen, und so löste ich dann den Konflikt, indem ich weiterging, nicht bevor ich John nicht versichert hatte, das nächste Mal gerne seine Kunstausstellung mir ansehen zu wollen. Das Lächeln wurde mir daraufhin zur zweiten Natur in China. Geduld ebenfalls. Und noch etwas fiel mir auf: Wenn man sich z.B. in einem chinesischen Reisebüro auf das Geduldspiel einlässt, auch ein wenig Humor zeigt und die Verkäuferin nicht drängt, ist sie viel eher bereit, ein besonders günstiges Angebot für mich herauszusuchen. Es ist eben doch was dran, am „Land des Lächelns“.
Über den Autor
Gunnar Henrich ist Politikwissenschaftler mit Chinafokus. Am Center for Global Studies der Universität Bonn promoviert er über Methoden und Ziele chinesischer Afrikapolitik am Beispiel Sambia. Exklusiv für das ICC-Portal veröffentlicht Henrich nun Kapitel aus seinen spannenden Reisetagebüchern aus China (2006-2007).
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