Von Christian W.* Meinen ersten Face Job übernahm ich im Februar 2011. Nachdem ich ein Praktikum absolviert hatte, wollte ich nicht sofort eine Festanstellung annehmen, sondern noch weitere Erfahrungen sammeln. Bei meiner Suche wurde ich auf eine Stellenanzeige auf The Beijinger aufmerksam, einer Online-Plattform für Expats in Peking.
Der Titel lautete in etwa “Business Consultants required for two weeks in Harbin, 10,000 RMB”. Da ich gerade keinen Job hatte, kontaktierte ich den Agenten, und wir vereinbarten ein Bewerbungsgespräch.
Das Bewerbungsgespräch für den Face Job
Ich war etwas unsicher, was diesen Job betraf, und besprach mich mit einigen Bekannten. Sie gingen wie ich davon aus, dass damit etwas nicht stimme, aber ich wollte mir das Ganze aus der Nähe ansehen. Ich machte mich auf den Weg zum Bewerbungsgespräch. Im Besprechungsraum warteten auf mich der Agent Mark, ein Übersetzer namens Frank und der Boss, Mr. Chang.
Wir plauderten ein wenig und sprachen dann über meinen Lebenslauf. Der Chef sagte mir, dass er drei Ausländer benötige, um seine Investoren zu überzeugen, dass seine Firma Kontakte in Übersee habe und eine Investition in seine Firma die richtige Entscheidung sei. Mein Auftrag sei es, einfach jeden Tag im Büro zu sitzen und nichts zu tun. Spätestens hier hätte jeder gewusst, dass es sich um ein krummes Ding handelt. Ich antwortete aus Neugier, dass ich kein Problem damit hätte. Das wollte ich mir immer noch näher ansehen. Als alle Details geklärt waren, wartete ich auf den Abflug nach Harbin.
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Ankunft in Harbin: Karrierestart
Am Flughafen traf ich dann meine „Kollegen“. Sam, ein Unternehmer aus Großbritannien, der einige Kontakte in Harbin hatte, mit denen er sich treffen wollte, während er sich ein zusätzliches Taschengeld verdient. Und Tobias, ein junger Mann aus Südafrika, der durch China reiste, und sich ebenfalls ein bisschen Geld dazu verdienen wollte.
Die Firma versorgte uns mit schönen Apartments in der Nähe des Fernsehturms von Harbin. Nach dem obligatorischen Willkommensbankett wurde uns erklärt, dass uns am nächsten Morgen jemand abholen werde.
Der Arbeitsalltag als Face Jobber
Unsere Arbeit war fast jeden Tag gleich. Wir kamen um 9 Uhr im Unternehmen an und saßen dann bis 11 Uhr im Büro des Chefs. Anschließend brachte uns ein Fahrer zurück in unsere Apartments – unsere tägliche Arbeit war damit erledigt. Manchmal plauschte Mr. Chang im Büro mit uns über die europäische Geschichte, Automarken oder weltwirtschaftliche Entwicklungen, doch das passierte nur ein paar Mal.
Die meiste Zeit saßen wir alleine im Büro und niemand kam herein. Also noch einmal im Klartext: Der Job bestand darin, jeden Tag zwei Stunden lang alleine im Büro zu sitzen! Es gab jedoch eine Ausnahme. An einem Morgen wollten wir zum Frühstück und sahen, dass der Fahrer schon auf uns wartete. Ich sprach mit ihm und er erklärte mir, dass wir sofort zu einer Konferenz fahren würden. Davon hatten wir nichts gewusst.
Wir stiegen ein und Mr. Chang kam später dazu. Er trug uns auf, nur ein paar Worte auf Englisch zu sagen. Wir sollten der Firma für die tolle Zusammenarbeit danken und schwärmen, wie toll wir Harbin fänden. Im Publikum würden vor allem tatsächliche und potentielle Investoren sitzen. Als wir ankamen, blickten wir auf rund 100 ältere Chinesen im Raum. Nachdem Mr. Chang die Konferenz mit feierlichen Worten eröffnet hatte, ging ich nach vorne und sagte meinen kleinen Text auf. Das war es. Danach wurden wir zurück in unsere Apartments gebracht.
Die Bezahlung für einen Face Jobber
Obwohl wir die Flüge nach Harbin selbst gebucht und bezahlt hatten, kündigte die Firma an, dass sie die Kosten rückerstatten würde. Das war überhaupt kein Problem. Nach ein paar Minuten waren wir damit fertig. Als es jedoch um das Gehalt ging, erklärte uns der Chef, dass wir das Geld erst am Flughafen erhalten würden. Eingewickelt in Zeitungspapier!
Wir schauten uns verwundert an, was sollte das jetzt? Wir versuchten, Mr. Chang zu überzeugen, sofort zu zahlen. Er zierte sich erst einige Minuten, aber willigte am Ende ein, als wir drei lauter wurden. Er wollte nicht im eigenen Unternehmen sein Gesicht verlieren. Wir bekamen unser Geld somit doch noch im Büro.
Face Jobs in China: Was bringt das?
Während meines Aufenthalts fragte ich mich die ganze Zeit, inwiefern unsere „Arbeit“ von irgendeinem Nutzen für die Firma sein könnten. Reichte es wirklich aus, dass sich ein paar westlich aussehende Männer in ein chinesisches Büro oder einen Konferenzraum setzten, um das Image eines Unternehmens in China so aufzuwerten? Welche Investoren ließen sich davon überzeugen? Das konnte doch nicht klappen. Ein paar Tage nach dem Job sprach ich noch einmal mit dem Agenten Mark.
Er sagte mir, dass das Projekt sehr erfolgreich war. Die Firma habe sich gerade mit dem neuen Kapital ein weiteres Bürogebäude gekauft. Das Geld von dem Auftrag habe ich übrigens auch sinnvoll investiert – irgendwie bekam ich danach ein schlechtes Gewissen. Bis auf einen kleinen Teil, den ich für die nächste Miete brauchte, habe ich die Einnahmen an eine Organisation gespendet, die armen Kindern Zugang zu Bildung ermöglicht. Hoffentlich werden die später nicht auch erfolgreiche Unternehmer, die sich ihre Firmen durch ausländische „Schauspieler“ finanzieren lassen…
*Alle Namen im Artikel sind frei gewählt, der Autor ist der Redaktion bekannt.
charlene meint
wollte gerade sagen: die verrückten chinesen! aber genau genommen haben wir das auch in deutschland. nur sind es dann eher „exoten“ die in bikini-werbung genutzt werden, oder asiaten, die als touris in werbung vorkommen. in china sind es halt die weißen / deutschen, die für funktionierendden kapitalismus stehen!
Andi meint
…und hoffentlich hatte die „Hilfsorganisation“ sich die „armen Kinder“ nicht auch nur gemietet, um den „edlen Spender“ zu prellen.