China erscheint vielen weit entfernt und fremdartig. Die chinesische Medizin wird hierzulande häufig unterschätzt. Sie ist weit mehr als eine kleine Ergänzung zur westlichen Medizin und noch immer kursieren zahlreiche Mythen über die Weisheiten aus China. Die TCM-Expertin Sabine Schmitz erklärt in diesem Kommentar, wie wichtig kulturelle Offenheit ist, um Chinas Medizinwissen sinnvoll und Heil bringend einzusetzen.
Die chinesische Denkweise fällt (uns) „Westlern“ oft schwer. Vor allem jenen, die noch nie in China oder gar in Asien überhaupt waren. Sich in die Gedankenwelt der Chinesen einzufühlen, ist für uns im Westen oft ein echter Balanceakt. Leider wissen wir hierzulande viel zu wenig über die lange Geschichte Chinas. Einem Land, in dem nicht nur das Papier, der Buchdruck, das Schwarzpulver, der Kompass und das binäre System entstand. Ein Land, das zudem einen immensen Schatz an Philosophie und Kunst zu bieten hat.
Persönlicher Zugang zu chinesischer Medizin
Ich gestehe, auch mir fiel das am Anfang ziemlich schwer, jedoch vielmehr hinsichtlich der medizinischen Denkmodelle. Zuvor war ich über 15 Jahre in verschiedenen Bereichen der Schulmedizin tätig. Auch ich brauchte meine Zeit, um zu verstehen – um nicht zu sagen, mein „medizinisches Denken“ umzustellen. Dieser Beitrag soll gängige Vorurteile gegenüber der chinesischen Medizin aufbrechen, ihre faszinierende Welt näher beleuchten und die Notwendigkeit eines respektvollen Zugangs und Integration ermöglichen.
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) in der modernen Welt
Eine gängige Haltung zur TCM, und so erlebt man es in der Tat sehr häufig, ist, dass die TCM in die eigene westliche medizinische Architektur integriert wird. Dass man also lediglich einen Bruchteil der eigentlichen, unglaublich vielschichtigen TCM „einbaut“, ohne die fundamentalen Prinzipien der chinesischen Medizin zu berücksichtigen, wie es häufig im Bereich der sogenannten integrativen Medizin praktiziert wird.
Doch dieses Verhalten kann problematisch sein. Warum? Weil der TCM ein komplett anderes Gedankenmodell zugrunde liegt, ein ganzheitliches, in welchem wesentlich mehr Aspekte des Körpers und der Umwelt berücksichtigt werden, als es im Rahmen der konventionellen Medizin praktiziert wird. Eine Integration ist möglich und im besten Falle zum Wohle für den Patienten angeraten, ja – jedoch wird das so oft nicht umgesetzt.
Gefahr des westlichen Überlegenheitskomplexes
Die Mentalität außerhalb Chinas, die besagt, dass alles, was wir nicht in unsere Kategorien und unsere Denkstrukturen einordnen können, pseudowissenschaftlich oder primitiv ist, führt leider oft dazu, viele Aspekte des zu untersuchenden Themas auszuschließen. Das gilt für so viele Bereiche, Wissenschaft, Kultur und in diesem Fall: die TCM.
Fakt ist, dass die chinesische Medizin, die im Laufe der Zeit in so viele Länder verbreitet wurde, therapeutisch wirksam ist, auch wenn sie auf Prinzipien basiert, die in der westlichen Medizin oft nicht verstanden und nicht akzeptiert werden.
Eine Medizin, die seit Jahrtausenden praktiziert wird, kann und sollte in einer TCM-Praxis nicht aus ihrem kulturellen Kontext herauslösen. Tut man dies, werden auf diese Weise zwar therapeutische Ergebnisse methodologisch gerechtfertigt, jedoch wird die Wissenschaft bzw. Herkunft, aus der sie stammen (China), diskreditiert und abgelehnt.
Die jahrhundertealte chinesische Weisheit
Es ist wichtig zu bedenken, dass das chinesische Wissen über Wissenschaft, Mathematik, die Künste und eben die Medizin uns um mehrere Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende voraus war. Diese Fähigkeiten und Kenntnisse wurden im Laufe der Zeit immer weiter verfeinert.
Ohne grundlegende Kenntnisse der chinesischen Kultur ist es für niemanden möglich, in die Welt der TCM einzutauchen. Wissenschaftler muss man nicht sein, aber zumindest sollte man ein Grundinteresse und den Willen des Verstehens haben.
Wir können nicht versuchen, unterschiedliche Konzepte in Schubladen zu zwängen, um sie in eine für uns passende und verständliche Interpretation zu „pressen“.
Chinesische Medizin als interkulturelle Brücke – Fazit
Ich gebe zu, auch mir fällt es bis heute nach all den Jahren (fast 20 jetzt) immer mal wieder schwer. Doch mit meiner täglichen Arbeit versuche ich, die oft unbegründeten Klischees zu entlarven, die innerhalb und außerhalb der Welt der TCM zirkulieren. Ziel ist es, meinen Patienten wie auch Kollegen, diese wunderbare Medizin nahezubringen und zu erklären.
Es ist wirklich an der Zeit, die Brücke zwischen westlicher und chinesischer Medizin zu schlagen und die TCM mit dem Respekt und der Anerkennung zu behandeln, die sie verdient. Nur so können wir von ihrem reichen Erbe profitieren und unsere eigenen medizinischen Horizonte erweitern – und das, wie bereits erwähnt: immer zum Wohle des Patienten.
Denn das ist es, worum es in der Medizin geht, egal in welcher: der Dienst am Menschen für die Gesundheit.
Bleiben Sie gesund, Ihre Sabine Schmitz
Über die Autorin
Sabine Schmitz hat chinesische Medizin in China studiert und leitet heute als TCM-Therapeutin eine eigene Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin in Köln. Sie ist Autorin von zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen und TCM Fachbüchern. Sabine Schmitz ist Gründerin von Chinamed Cosmetics, Hautpflege mit TCM Kräutern, made in Germany.
Artikelbild: Unsplash / Katherine Hanlon
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